Wie kann ich jemanden beschwichtigen, der gerade aus Wut alles kurz und klein schlagen möchte? Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Wir wollen diesen zwei Fragen einmal nachgehen und einige Stufen der Deeskalation aufzeigen um Konflikte zu lösen.

In diesem Beitrag beschäftigen wir uns also ganz gezielt mit Alltagskonflikten, wie sie in der U-Bahn, in der Kneipe um die Ecke oder einfach nur beim Streit um den letzten Parkplatz entstehen können und wie ich eine körperliche Auseinandersetzung vermeide. Gleich vorweg sei erwähnt, Deeskalation funktioniert natürlich nicht immer. Raubüberfälle, Vergewaltigung, politisch motivierte Gewalt und ähnliche Straftaten haben ganz andere Ausgangssituationen und lassen sich in der Regel nicht mit Deeskalation lösen.

Gewalt hat viele Gesichter – aber oft die gleichen Muster

Eine Kindergärtnerin erklärte mir einmal: Wenn Kinder sich nicht mehr zu helfen wissen, stellt Gewalt oft deren einziger Ausweg dar, um sich durchzusetzen.

Konflikt Beispiel 1:

Peter (5 Jahre) spielt mit einem Spielzeug. Inge (6 Jahre) nimmt ihm dieses Spielzeug weg und gibt es trotz Aufforderung von Peter nicht mehr zurück. Peter sieht keine andere Möglichkeit mehr und will sich sein Spielzeug mit Gewalt zurückholen. Inge geht nun zur Kindergärtnerin und sagt, Peter hätte sie gehauen. Die Kindergärtnerin schimpft daraufhin Peter, der sein Spielzeug wieder an Inge übergeben muss.

Dieses Beispiel zeigt zwei Kernprobleme der Gewalt auf:

  1. Gewalt wird oft genutzt, weil scheinbar keine anderen Konfliktlösungen mehr zur Verfügung stehen.
  2. Die Kindergärtnerin im obigen Beispiel konnte nicht richtig zuordnen, wer eigentlich Täter und wer Opfer ist. Ein Problem, dass übrigens auch Amtsgerichte sehr häufig beschäftigt.

Wir können uns bildhaft vorstellen, wie die Situation mit Peter und Inge mit viel Wut und Tränen abgelaufen ist. Tatsächlich sind aufwühlende Emotionen oft verantwortlich für Impulsive Handlungen die in Aggression und Gewalt münden können.

Eskalation

Ok. Einige werden jetzt sagen, das sind Kinder, was hat das mit Erwachsenen zu tun? Wir sind ja schließlich nicht mehr im Kindergarten. Stimmt! Gießen wir etwas Benzin ins Feuer.

Konflikt Beispiel 2:

Phase 1: Wut

Peter (49 Jahre) kann nach einem Herzinfarkt nicht mehr in seinem körperlich anstrengenden Job arbeiten. Er benötigt Wohngeldunterstützung, um nicht aus seiner Wohnung gekündigt und obdachlos zu werden. Sachbearbeiterin Inge (50 Jahre) hatte den Antrag mit der Begründung „Es wurden nicht alle Antragsformulare eingereicht“ abgelehnt.

Phase 2: verbale Agression

Peter stürmt daher mit hochrotem Kopf in das Büro von Inge und beklagt sich laut und empört: „Seit vier Wochen warte ich auf diesen verdammten Bescheid. Nichts ist passiert – (schreiend) und jetzt habe ich diesen Wisch im Briefkasten.“

Inge: „Schreien Sie nicht so rum.“ – Peter: “ Ich lasse mir von Ihnen doch nicht den Mund verbieten!“

Phase 3: Gewaltersatzhandlung

(hier: zerknüllen und wegwerfen des Schreibens – damit werden im Grunde weitere Handlungen angekündigt)

Inge sieht sich das Schreiben kurz an und meint dann vorwurfsvoll: „Das Schreiben ist ganz richtig, sie haben nicht alle nötige Unterlagen eingereicht. Da können wir leider nichts machen.“ Peter nimmt Inge das Schreiben aus der Hand und zerknüllt es. Peter:“Das können Sie vergessen. Ich will Ihren Vorgesetzten sprechen, oder…“

Phase 4: Gewalt

Peter wird kurze Zeit später vom Sicherheitsdienst abgeführt und eine Anklage erwartet ihn. Seine Wohnung wurde ihm letztendlich gekündigt.

Peter hat sich natürlich falsch verhalten, aber vergessen wir nicht: Für Peter geht es hier wirklich um alles oder nichts. Aber auch Inge hat viel falsch gemacht und durch ihr Verhalten zur Eskalation der Situation beigetragen.

Deeskalation

Es ist immer eine Herausforderung einen wütenden Menschen zu beschwichtigen, insbesondere wenn z.B noch zusätzlich Alkohol im Spiel ist.

Oft bieten sich folgende fünf Deeskalationsstrategien an, um eine brenzlige Situation zu entschärfen.

  1. Ignorieren von verbalen Angriffen. Es geht darum, eskalierende Antworten zu vermeiden. Darunter fallen z.B lehrerhaftes Verhalten, Zurechtweisungen, auf sein Recht pochen. Eigentlich alles, was in die Kategorie „Du hast (selber) Schuld fällt“. Also auch Aussagen wie: „Du hast gesagt, dass …“. Durch energische Reaktionen wird die Situation in der Regel auch angeheizt.
  2. Verständnis zeigen und die Sachebene hören. Das ist sicher Situationsabhängig und geht nicht immer. Sich auf die Probleme des Gegenübers einzulassen kann aber helfen die Situation zu beruhigen. Außerdem besteht hier die Möglichkeit, das statt weiterer aggressiver Handlungen ein Gespräch entsteht. Auch alkoholisierte Menschen sprechen manchmal gut darauf an.
  3. Lösungen oder Hilfe anbieten. Biete konstruktive Lösungen an. „Lassen Sie uns darüber sprechen. Vielleicht lässt sich da noch was machen.“ Wenn es einmal lauter wird bietet es sich an, eine dritte Person als Beratung zu Hilfe zu holen. Manchmal kann man auch Teillösungen anbieten. Man muss Lösungen auch nicht immer sofort parat haben. Manchmal sollte man sich einfach ein wenig Bedenkzeit geben lassen.
  4. Defensive Körperhaltung und Sprache: Das mit der Körpersprache wird einigen schwer fallen, da vieles reflexartig abläuft. Wir würden dennoch vom üblichen erhobenen Zeigefinger abraten und eher etwas zu trinken anbieten. Darunter fällt auch, sich nicht vor den Streithahn frontal aufzurichten – nimm besser eine leicht seitliche Haltung ein. Vermeide unbedingt Aufforderungen wie:“Wenn Sie nicht sofort …, dann werde ich …“ Mit dieser Gesprächsführung ist es kaum mehr möglich aus einem Konflikt auszusteigen.
  5. Abwehrtechniken und Hilfe holen: Wenn alles versagt, muss man allerdings auch Stop sagen können und eine Verteidigungs- beziehungsweise eine Schutzhaltung einnehmen können. Eine gewisse räumliche Distanz von ca 50 – 60 cm sollte grundsätzlich nicht unterschritten werden, da kleinere Distanzen alleine schon aufgrund der bedrohlichen Nähe sehr schnell in Gewalthandlungen (Schubsen, Ohrfeigen, etc.) eskalieren können. Ein wichtiger Aspekt ist es, sich Hilfe zu holen. Auch im konkreten Selbstverteidigungsfall fällt es zu zweit einfach leichter, sich zur Wehr zu setzen und die Situation zu kontrollieren.

Reden kann Gewalt vermeiden

Beispiel Nehmen wir einmal die oben beschriebene Situation:

Peter stürmt mit hochrotem Kopf in das Büro von Inge und beklagt sich laut und empört: „Seit vier Wochen warte ich auf diesen verdammten Bescheid. Nichts ist passiert – (schreiend) und jetzt habe ich diesen Wisch im Briefkasten.“

Inge reagiert dieses mal anders:

  • Defensive Körperhaltung und Sprache. Guten Tag wie kann ich Ihnen helfen. Nehmen Sie Platz, möchten Sie etwas zu trinken? (Sie macht eine einladende Bewegung mit der Hand)
  • Verständnis zeigen. Lassen Sie uns einmal gemeinsam einen Blick auf das Schreiben werfen. Ich verstehe Ihr Problem.
  • Lösung anbieten. Vielleicht kann man da noch etwas machen. Wenn sie mir die fehlenden Unterlagen bis Morgen nachreichen, erhalten Sie bis Ende der Woche Unterstützung.
  • Hilfe holen. (Peter lässt nicht locker und ist immer noch wütend) Ich verstehe, ich werde kurz Frau Müller holen, ob Sie eine bessere Lösung kennt.

Zusammenfassung

In diesem Beitrag wollten wir einige Möglichkeiten zeigen, wie man Konflikte beschwichtigen kann. Wir haben einige typische Situationen dargestellt, die zu Eskalationen führen können und haben geeignete Deeskalationsmöglichkeiten aufgezeigt. Es lässt sich zwar nicht jede Situation mit Deeskalationsstrategien entschärfen, wir haben aber auch aufgezeigt, dass alleine schon das vermeiden von „Brandbeschleunigern“ sehr viel helfen kann.